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Paul Hindemith: NEUES VOM TAGE
Neues vom Tage 2012:
Big Brother, Dschungelcamp, Bauer sucht Frau, wir wissen wie viele Beziehungen unsere PolitikerInnen haben (zumindest eheliche), wie viele Kinder sie bekommen (zumindest eheliche) und haben eine Ahnung, ob wir es mit einem Single, einer stabilen Beziehung oder Menschen mit Lebensabschnittsgefährten zu tun haben (anderes wird ausgeklammert). Deutschland chatet, postet, doodelt und weiß Bescheid über den Dackel von Paris Hilton, die Zahnspange von Till Schweigers Tochter, in welcher Unterwäsche Bar Refaeli ihren Pool säubert, und was sie dabei verdient. Wo Neues vom Tage unser Gespräch bestimmt, regiert das Banale, die Routine und die Sensation Zeit und Ort für Überhöhung, Bestimmung oder Sensibilisierung wirken wie Oasen einer vergangenen Zeit und das Private hat so viel Poesie wie ein karierter Strumpf. Doch nicht erst heute fällt auf, was der Ausverkauf der Gefühle bedeutet: 1929 hat Hindemith eine Oper darüber geschrieben (Text von Marcellus Schiffer) und der Abwesenheit von Poesie einen verstörenden Ausdruck verliehen.
Kaum verheiratet wollen Laura und Eduard sich wieder scheiden lassen, das Ehepaar M macht es vor, doch was zunächst kurz und schmerzlos über die Bühne zu gehen scheint, erweist sich als kompliziert. Eine Scheidung braucht einen Grund, hier zu kaufen im Büro für Familienangelegenheiten GmbH und personifiziert durch den schönen Herrn Hermann. Begehren ohne Gefühle soll er zeigen für und mit der scheidungswilligen Ehefrau, doch schon die Versuche misslingen so gründlich, dass die Venus von Milo zu Bruch geht. Eduard landet im Gefängnis und Laura in einer Hotelbadewanne, wo sie sich im Streit mit Herrn Hermann und Frau M schließlich dem halben Hotelpersonal entblößt gegenübersieht. Mit einem Chor versucht man sich der Peinlichkeit zu entledigen, doch der Mechanismus der Öffentlichkeit ist unerbittlich: Manager wittern die Story, wollen die Geschichte verkaufen und als Eduard und Laura sich einer neuen Gefühlswallung folgend doch nicht mehr scheiden lassen wollen, verwehren ihre Zuschauer ihnen dieses Recht.
Die Uraufführung in der Krolloper (Berlin) fiel durch: zu experimentell schien Hindemiths Komposition. Und doch konnte man sich später des Eindrucks nicht erwehren, dass vielmehr der sozialkritische Stoff im unerwarteten Opernkleid Grund für die Irritation war.
Musikalische Leitung: Michael Klubertanz
Regie: Bernd Schmitt
Dramaturgie: Tina Brüggemann
Ausstattung: Annette Wolf
Musikalische Bearbeitung: Leyou Wang
Eine Produktion der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst mit einem Kammerorchester aus Studierenden und SolistInnen der Opernklasse